Musafir
Das Ensemble Halva spielt ausschließlich vom traditionellen Repertoire und den Musikstilen Osteuropas inspirierte Neukompositionen von Bandleader Nicolaas Cottenie. Mit dem dritten Album Musafir beschreitet das international besetzte Ensemble neue Wege: im Fokus stehen die Musiktraditionen von Griechenland und Rumänien mit Gastbesuchen in der Türkei und Bulgarien. Außerdem wird die zuvor instrumental operierende Gruppe durch die Stimme der griechischen Sängerin und Instrumentalistin Andriana Achitzanova komplementiert. Der Albumtitel Musafir setzt das Thema. Dieses Wort existiert in Rumänisch, Griechisch, Türkisch und Arabisch mit Bedeutungen wie „Gast“, „Fremder“ und „Reisender“ und zeigt, wie eng diese Kulturen miteinander verbunden sind. Und um das Gast/Reisender/Fremder-Sein geht es auf dem neuen Album: die Freude, sich mit anderen verbunden und von ihnen akzeptiert zu fühlen, der gegenseitige Respekt, das Erfahren von Gastfreundschaft, die Offenheit anderen Kulturen gegenüber und das „willkommen sein“ einerseits, sowie die erdrückenden Gefühle von Einsamkeit, Verzweiflung und Hilflosigkeit andererseits. Und so hat sich das Ensemble in der renommierten Stammbesetzung Ira Shiran (Akkordeon) aus Israel, Alina Bauer (Geige) aus Deutschland, Susi Evans (Klarinette) aus Großbritannien sowie den drei belgischen Musiker*innen Nicolaas Cottenie (Geige und Kompositionen), Robbe Kieckens (Percussion) und Eline Duerinck (Cello), als Gastmusiker*innen Muhittin Kemal (Kanun) und Andriana Achitzanova (Gesang, Ney) aus Griechenland ins Studio eingeladen. All diese Themen spiegeln sich in den Texten von Andriana Achitzanova und den Kompositionen von Nicolaas Cottenie wider. Die beiden lernten sich in Thessaloniki kennen, als Nicolaas Cottenie, der Gründer des Ensembles, bei einem griechischen Violinisten Unterricht nahm. Er lud Andriana ein, Teil von Musafir zu werden, was zu einer Reihe gemeinsamer Stücke in den nächsten Monaten führte. Nicolaas‘ Musik und Ideen für die Themen der Songs waren zuerst da. Andriana griff letztere auf, und so entstanden stark durch ihre eigenen persönlichen Erfahrungen geprägte, aber immer mit Empathie für die Perspektive Anderer versehene Texte. Cottenie hatte vor Musafir nicht sehr viel Erfahrung mit dem Songwriting für Stimme, wie er ausführt: „Es ist natürlich von vornherein klar, dass die Aufmerksamkeit zur Stimme und Sprache gezogen wird. Man kann sich als Komponist dagegen wehren, aber ich habe mich in den meisten Fällen dafür entschieden, die Stimme in den Mittelpunkt zu stellen. Dadurch entstehen dann schnell klassische Songformate mit Verse-Chorus-Interlude.“ Das Ensemble arbeitete mit dem Kontrast zwischen dem „Orchesterklang“, bei dem alle zusammen die Melodie spielen einerseits, und improvisierten Soli andererseits.
Die Kompositionen: Nicolaas Cottenie begab sich auf die Suche nach den verbindenden Elementen zwischen den kulturell diversen Musiktraditionen Griechenlands und Rumäniens. Dafür lernte er die jeweiligen Sprachen zu sprechen, die bekanntesten Speisen zu kochen, führte Unterhaltungen mit Menschen auf der Straße, nahm Unterricht bei lokalen Musikern, ging zu Konzerten, nahm Teil an religiösen Festen und machte lange Spaziergänge in der Natur. Ein sehr wichtiges Element fand er in der Musik der Roma in Rumänien (die Lautari), Griechenlands, der Türkei und in Bulgarien: „Man findet in der Musik der Lautari in der Region Bukarest Elemente wie die für Rumänien besondere Tonleiter, harmonische Wendungen und melodische Figuren der Maqam-Musik aus dem Ottomanischen Reich. In Griechenland und der Türkei dahingegen findet man Elemente der Lautarimusik wie die schnellen und virtuosen Melodien, die von den sonst eher modalen Musiktraditionen abweichen“.In diesem Sinne wird auch auf Musafir ein Grundsatz von Halva weitergeführt: der Name Halva basiert auf der Idee, dass die Kulturen Osteuropas, Griechenlands, der Balkanländer und des Nahen Ostens viele Gemeinsamkeiten haben. Dabei konzentriert sich das Ensemble immer auf die positiven Aspekte und präsentiert ein breites Spektrum an Timbres und Atmosphären zwischen energisch, lebhaft, voller Lebensfreude und nachdenklichen, ernsten Momenten, die von den erfahrenen Musiker*innen virtuos vorgetragen werden. Die Stücke: Dabei kommen neben den vertrauten 2/4-Takten wie in „Joc de Primăvară“, dem 4/4-Takt im rumänischen Hochzeitstanz „Hora Mare“ oder dem energetisch in 12/8 groovenden „Sirba“ aus Rumänien auch ungerade Taktarten wie z.B. der 11/8 im von bulgarischen Folkorchestern inspirierten „Peperuda Gankino“ zum Einsatz, oder ein irgendwo zwischen einem 7/8- und 10/8-Takt (die einen sagen so, die anderen anders) liegender transsilvanischer Tanz namens „Învârtita de Primăvară“. Ihn schrieb Cottenie nach einem Aufenthalt in Rumänien: „Man hört ein Streichtrio mit Cello, Brácsa und Geige. Die Brácsa, gespielt von Alina Bauer, ist ein sehr besonderes Streichinstrument aus Ungarn und Transsilvanien, was diesem Stück auch den einzigartigen Klang verleiht“. Akkordeonist Ira Shiran konzipierte das halb komponierte, halb improvisierte Stück „Doina“ im bulgarischen Stil. Es ist nach einer Musikrichtung benannt, deren Pendant in der griechischen und türkischen Musik Taxim heißt. Die Lautstärke, Hektik und den Rhythmus des täglichen Verkehrschaos in Thessaloniki behandelt das vom türkischen Klarinettisten Selim Sesler inspirierte Stück „Traffic in Selanik“. Cottenie sagt darüber: „Das ist es eine ‚Karsilamas‘, ein Tanz, der heute auch in Griechenland sehr populär ist. Ich bin schon seit längerer Zeit total fasziniert von dem komplexen aber unheimlich groovenden 9/4-Rhythmus und wie frei sich darüber die Melodien entfalten.“ Die Soli stammen von Susi Evans auf der Klarinette, Robbe Kieckens auf der Davul und dem Gast Muhittin Kemal auf der Kanun. „Solitude“ präsentiert den von der Ney und Kanun gefärbten und von Perkussion und Streichern getragenen Orchesterklang, der im zweiten Teil in ein von Andriana Achitzanova vorgetragenes Lied über die grundsätzliche Einsamkeit der Existenz und die Suche nach Verbindung übergeht. Ein ähnliches Thema behandelt das Lied „The Journey“ über das Verlassen der Heimat und eine verlorene Liebe. Ein Schlaflied für Erwachsene ist das Stück „Microcosm“. Es basiert auf rumänischen Melodien und Harmonien, die mit griechischem Text und einem klassisch klingenden Arrangement lebendig werden. „Musafir“, das auf Rebetiko basierende Titelstück des Albums, handelt eindringlich von Flucht, Migration und den psychologischen Prozessen, die damit einher gehen: „Selbstzweifel, Zukunftsangst, ein Verlorenheitsgefühl in der Fremde, die Sehnsucht nach der Heimat“, so Cottenie. Das Album endet mit „Hora Mare“ zugleich beschwingt und nachdenklich, nostalgisch und lebendig.
1 | Doina |
2 | Peperuda Gankino // Butterfly Gankino |
3 | Solitude // Monaxia |
4 | Musafir - The Traveller |
5 | Traffic In Selanik |
6 | Invartita De Primavara |
7 | Joc De Primavara |
8 | The Journey // To Taxidi |
9 | Sirba |
10 | Microcosm |
11 | Hora Mare |
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