Gegen Stumpfsinn
und Langeweile

aus dem Äther.

Paolo Percoco

Eigentlich Abwasch

Eine Kurzgeschichte von Paolo Percoco, gelesen von Clemens Grote.

Eigentlich wollte ich abwaschen. Der ganze Dreck stand schon seit Tagen da und begann vor sich hin zu schimmeln. Da tat es diesen heftigen Schlag. Das ganze Haus zitterte und die Vibration ging direkt durch mich hindurch. Was zum Himmel konnte das gewesen sein?

Ich hatte schon warmes Wasser in der Spüle, also den wichtigsten Schritt bereits hinter mir. Und ich hätte es jetzt auch in Angriff genommen, wenn nicht diese Schreie gefolgt wären. Panisches Entsetzen schwappte da durch mein Fenster und ich musste erst überlegen, ob ich mich überhaupt umdrehen sollte, um zum Fenster hinaus schauen zu können. Gut. Die Spülbürste hatte ich sowieso noch nie angerührt und den Putzschwamm könnte ich dann gleich austauschen. Die neuen waren noch verpackt in dem Küchenschrank neben dem Fenster. Hinter mir. Der Schrei klang noch nach und zu hören war jetzt eher ein Wimmern, kein leises. Vielleicht ist ein Auto ins Nachbarhaus gefahren. Oder das Garagentor ist runtergeknallt. Oder irgend sowas. Nein. Dafür war der Schlag zu laut und das Geschrei zu wild.

Spülmittel war auch im Wasser, das Wasser war warm, die Teller und Tassen warteten nur so darauf, endlich wieder sauber zu werden. Gut. Ich griff nach dem Spülschwamm und nach einem Teller. Und ließ den Teller wieder sinken. Was ist da draussen passiert? Ich erwischte mich dabei, dass ich versuchte mich mit noch etwas Anderem abzulenken. Ich wollte nicht raus schauen. Es war sicher kein Autounfall und auch nicht die Garage. Die hatte der Nachbar ja erst stolz renoviert. Die Garage. Nicht sein Haus. Ich hätte es ja andersrum gemacht. Wie auch immer. Die Nachbarn waren immer sehr nett gewesen. Ein bisschen kleinbürgerlich angeberisch vielleicht, aber wirklich in Ordnung. Hoffentlich ist ihnen nichts passiert. Das Wimmern war weg. Es war still.

Überhaupt fiel mir jetzt erst auf, wie still es geworden war. Totenstill könnte man sagen. Es war Sommer, die Vögel hätten zwitschern müssen. Der Schlag hatte sie wohl alle verjagt, sie wären sicher wieder gekommen. Sollte ich zum Fenster gehen? Ich hielt die Hand ins Spülbecken. Das Wasser war noch warm. Was sollte schon passiert sein. Einen kurzen Blick nach draussen konnte ich ja wagen. Und gleich einen neuen Spülschwamm auspacken. Dieser hier war schon mehrere Monate alt gewesen und die schwarze Seite schon ganz verschlissen, die gelbe eher bräunlich. Und dünn war er geworden. Lang hatte er gehalten! Ein guter Schwamm. Trotzdem ein billiger. Die gingen schneller kaputt. Ich kaufte nie die teuren. Vielleicht aus Protest. Und weil ich Geld sparen wollte. Hätte ich die teuren gekauft, dann hätte ich sicher noch einen voll funktionsfähigen Putzschwamm in der Hand gehalten. Voll in Form und auch farbig noch satt. Mit einer hervorragend scheuernden schwarzen Seite. Was ist das schwarze? Irgendeine Wolle? Egal.

Die Vögel schienen nicht mehr zurück kommen zu wollen. Es war immer noch still. Beängstigend still. So stellte ich mir die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm vor. Der Wetterbericht für heute war allerdings sehr gut gewesen. Sonnenschein, fast dreißig Grad. Ich hatte mich gefreut, dass der Wettermann weg war und sie eine Frau eingestellt hatten. Seitdem schaute ich den Wetterbericht viel lieber. Ich sollte mehr raus gehen. Nein, ich sollte jetzt abwaschen. Also nahm ich wieder einen Teller und ließ ihn ins noch lauwarme Wasser sinken. Jetzt könnte ich zum Fenster rausschauen. Dann könnte die Kruste aus Essensresten auf dem Porzellan ein bisschen einweichen. Vielleicht wäre dann auch kein neuer Schwamm nötig gewesen. Sollte ich jetzt zum Fenster gehen? Es war ja geöffnet. Ein leiser Wind fuhr hinein. Und es war noch immer ruhig da draussen. Vielleicht sollte ich noch eine Tasse ins Spülwasser legen. Die mit dem angetrockneten Kaffeesatz. Wobei, vielleicht wollte ich die überhaupt nicht spülen. Kaffee schmeckte immer am besten, wenn man ihn aus einer Tasse trank, aus der man schon ein paar Tage Kaffee getrunken hatte. Eine Tasse mit eingetrockneten Kaffeeresten. So wie diese.

Da tat es einen weiteren Schlag, mindestens so laut, wie der vorangegangene. Und noch einen. Noch einen. Gleich drei! Fast parallel. Und es wurde immer lauter. Die Schreie waren zurück. Diesmal waren es mehrere. Ich drehte mich erschrocken um und schnellte ans Fenster. Die Tasse in der Hand. Beinahe rutschte ich aus. Ich hatte Socken an. Als ich hinaus schaute fiel die Tasse zu Boden. Ihr Zerschellen war das lauteste Geräusch, das ich je gehört hatte. Das Nachbarhaus war weg. Beinahe. Ich sah die Nachbarschaft wild schreiend auf der Straße herumirren. Ich schaute nach links und rechts. Es waren mehrere Häuser verschwunden. Schutt und Asche überall. Jetzt konnte ich es riechen. Modrig roch das. Zerborsten. Alt. Staubig. Der Wind trug es mir zum Fenster hinein. Es wurde immer lauter und lauter da draussen. Helle Panik! Eine Sirene ging. Wieso hatte ich sie vorher nicht gehört? Autos rasten davon, offensichtlich vollkommen ziellos. Ich schaute zum Himmel. Das letzte, was ich hörte, war das Anfluggeräusch mehrerer Flugzeuge. Ich konnte sie noch kurz sehen.

clever

clever

Eine Kurzgeschichte von Paolo Percoco, gelesen von Clemens Grote.

Der dritte Tag. Ich bin gerade aufgestanden, meine Großmutter geht in den Kühlschrank und meine Uhr zeigt genau sieben. Gut, dass ich weiß, dass es acht Uhr ist, denn meine Uhr geht immer peinlich genau eine Stunde nach! - um Postboten zu täuschen.

Die Türe zum Badezimmer steht sperrangelweit offen, niemand befindet sich darin also gehe ich hinein. Spezial-Agenten-Supergebiß-Paste auf die Bürste.

Plötzlich werde ich unterbrochen, ein Kanal öffnet sich und ich lege die Bürste zur Seite. Das Bild im Spiegel wird schärfer, die Gestalt sagt: “Sie wissen schon...” Und ich wusste schon, sie hatte recht! Denn ich bin Agent, Spezialgeheimagent. Ich bin der Beste.

So putze ich mir schnell die Zähne, entferne das Kondenswasser von meiner Uhr und bekleide mich mit unauffälligen Stofftüchern, es ist kurz vor elf, der Kühlschrank steht bedrohlich in der Küche und ich weiß schon...

Über meine Füße stülpe ich meine Spezial-Haftungsstiefel und öffne vorsichtig die Türe des Kühlschrankes, Butterreste bleiben an meinen Stofftüchern kleben und Eiswürfel scheppern im Schnee des Gefrierfaches über mir während ich die Türe langsam hinter mir schließe. Leberwurst verfängt sich in meinem Haar doch das ist ohne Bedeutung, ich darf jetzt nicht enttarnt werden.

Um unerkannt an meiner Großmutter vorbeizuschleichen nehme ich mir eine Erdbeere und verstecke mich geschickt dahinter. Meine Großmutter trifft sich um diese Zeit immer mit ihrer besten Freundin Josef um eine Tasse Brot zu hören und ein Kuchen.

Hinter meiner Erdbeere bin ich gut versteckt, ich kann meine Großmutter und Josef sprechen hören. “Heute ist der Kuchen!” sagt Großmutter. Josef zögert. “Naja, das Brot hat sich auch schon besser angehört...” sagt sie.

Und ich muss weiter, meine Mission ist sehr wichtig! Einige Meter entfernt lege ich die Erdbeere ab und muss lachen: ich hätte sie gar nicht gebraucht, schließlich bin ich so genial mit unauffälligen Stofftüchern getarnt, dass ich nicht weiß, ob ich bin.

Ich nehme eines der vielen Tücher und werfe es ungefähr dreißig Zentimeter vor mir auf die Erde, nehme mir fest vor es nicht aufzuheben. Drei Stunden später liegt es noch am selben Platz. Erleichtert hebe ich es auf und verwandele es in einen fliegenden Teppich. Dieser ist sehr schnell und schwer zu lenken, er hat kein Steuer und keine Bremse. Mit Überlichtgeschwindigkeit rase ich über das Erdbeerfeld in meinem Kühlschrank, meine Großmutter sieht mich nicht, ich bin zu schnell. Die Türe, die Kühlschranktüre! Nein! Ja!

Ich ramme etwas Seltsames aus Stoff und reiße die Kühlschranktüre heraus wie eine Tüte Milch, bevor ich hammerhart mit dem Kopf an der Wand aufschlage und das Bewusstsein verliere.

Ich wache auf, meine Uhr ist zerstört und unter mir liegt die Kühlschranktür und daneben etwas seltsames aus Stoff, dass ich fast nicht erkennen kann, so gut ist es getarnt. Ich deaktiviere meine Spezial-Haftungsstiefel und falle von der Decke zu Boden, lande angenehm auf dem Stoff.

Es ist eine getarnte Person, eine mit unauffälligen Stofftüchern getarnte Person. Sie sieht beinahe aus wie ich. Langsam nehme ich Stofftuch für Stofftuch und enttarne die Person am Boden. Sie wird immer deutlicher. Ich bin es! Ich stehe fassungslos vor mir und liege am Boden, die Stofftücher erfüllen den ganzen Raum und es riecht verdächtig nach Butter.

Der Teppich muss so schnell auf die Kühlschranktüre zugeflogen sein, dass ich dort ankam, bevor ich überhaupt in den Kühlschrank gegangen war. Das leuchtet mir ein, ich habe mich also unabsichtlich selbst erschlagen.

Meine Mission ist erfüllt! Ich bin der Mörder! Ich habe den Täter gefasst, ich bin es!

Vor Gericht wurde ich dann freigesprochen, sie hatten vergessen, dass ich die Lizenz habe. Sie wissen schon... Da ich im Dienst starb bekam ich noch jede Menge Kohle, schenkte meiner Großmutter und Josef einen neuen Kühlschrank und besorgte mir eine teure Bestattung.

Manchmal des Abends frage ich mich wie das Alles möglich ist. Dann vertreibe ich die Gedanken mit einem guten Glas Wein und gehe weg.

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